Musikalische Totenmessen großer Komponisten
Sein letztes großes Werk war ein Requiem, eine musikalische Totenmesse. Wolfgang Amadeus Mozart hatte den Auftrag dafür kurz vor seinem eigenen Tod von einem Fremden erhalten. Als das Musikgenie 1791 im Alter von 35 Jahren starb, blieb das Requiem unvollendet. Bis heute ranken sich Geschichten und Spekulationen um Mozarts Tod und für die Nachwelt scheint es, als habe er das Werk für sich selbst geschrieben. Und gerade in dieser Epoche begannen sich auch die Bedeutung und die Dramatik der musikalischen Form des Requiems stark zu verändern. Mehr und mehr entfernte es sich aus dem kirchlichen Bezug, überwand die strengen formalen Vorschriften und eroberte die weltlichen Bühnen der Opernhäuser und Konzertsäle.
Während Mozart und seine Zeitgenossen noch der strengen kirchlichen Liturgie folgten und die lateinischen Texte verwendeten, begannen nachfolgende Komponisten damit, die musikalische Form des Requiems immer freier zu interpretieren. Nun ging es nicht mehr darum, mit der Musik das Gedenken an einen bestimmten Menschen zu feiern. Die Künstler setzten sich zunehmend mit philosophischen Betrachtungen von Leben und Tod auseinander und versuchten, das Unerklärliche, Beängstigende und Erlösende mit ihrer Musik auszudrücken.
Was auch vielfach gelang: 1837 wurde in Paris das Requiem des französischen Komponisten Hector Berlioz mit rund 500 Mitwirkenden aufgeführt und berührte sowohl Ausführende als auch Zuhörer zutiefst, so dass Zeitgenossen von Nervenzusammenbrüchen und Weinkrämpfen unter den Anwesenden berichteten. Wenige Jahre später vermischt sich bei Giuseppe Verdi die musikalische Dramatik von Oper und Requiem noch einmal mehr. Während seine Opern häufig in sakraler Umgebung spielen und Elemente der Kirchenmusik verarbeiten, wurde sein Requiem von Fachleuten auch als „Oper im kirchlichen Gewand“ bezeichnet.
Dagegen stellte Johannes Brahms für sein „Deutsches Requiem“ eigene Texte aus der Bibel zusammen, die nicht dem bisher üblichen Gedenken der Toten dienten, sondern dem Trost der Hinterbliebenen. Formal ist das 1869 uraufgeführte Werk dadurch kein reines Requiem mehr. Ähnliches gilt auch für Benjamin Brittens „War Requiem“, das knapp 100 Jahre später entstand. Der englische Komponist hat den liturgischen Texten eindringliche Gedichte über den Krieg hinzugefügt und das Werk Freunden gewidmet, die im 2. Weltkrieg getötet wurden.
Bei der Komposition eines Requiems bedienen sich die Tondichter entweder völlig neuer Stilmittel oder kehren wieder zu den liturgischen Wurzeln zurück. Bei allem künstlerischen Schaffen zeigt sich dabei das bleibende innere Bedürfnis der Menschen, ihrer Toten zu gedenken. Es ändern sich lediglich einige Mittel und Wege.
Karsten Mohr